Die in der Galerie Smend präsentierte Ausstellung zusammen mit dem Symposium über moderne Kleidungsidentitäten fügen sich ein in eine Reihe von thematisch ähnlich gelagerten Ausstellungen, Publikationen, Filmen, die in den letzten Jahren zunehmend das Interesse der deutschen Öffentlichkeit geweckt haben. Dazu gehören zum einen die Ausstellungen über die von der Prinz-Claus-Stiftung ausgezeichneten afrikanischen Modedesigner in der ifa-Galerie in Stuttgart (2000),die Einzelausstellung über die große senegalesische Modemacherin Oumou Sy im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (2005) und die Ausstellung „Mode in Afrika“ im Museum für Völkerkunde Hamburg 2005.
Die afrikanische Mode offenbart weit über die reine Ästhetik hinausgehende Bedeutungsdimensionen, die sich im afrikanischen Alltag manifestieren und eng mit der sozialen, politischen und
ökonomischen Geschichte verbunden sind, aber auch spezifische kulturelle Werte der Frauen zum Ausdruck bringen.
Die modischen Stile haben sich von den Kleidungsformen des politischen Nationalismus, des kulturellen und ethnischen Neotraditionalismus emanzipiert, und sind zu einem Teil des modernen Konsums
geworden, der Freiheit und Glück verspricht. Die westafrikanische Mode, die zwar einerseits eine regionale Erscheinung ist, bleibt stilistisch dennoch sichtbar den lokalen,
ethnischen Werten und Traditionen verhaftet. Gleichzeitig greift sie mit größter Selbstverständlichkeit auf die globalen Ressourcen zurück.
Die Modekultur, wie sie insbesondere von Frauen in Afrika aus sozialen, politischen und ökonomischen Gründen aktiv betrieben wird und die auch in ihrer stilistischen Prägung auf deren Kreativität
zurückzuführen ist, stellt eine materielle Ausdrucksform dar, an der sich sozialer Wandel ablesen lässt. Diese enorme Bedeutung von Frauenmode als Sprachrohr – im Gegensatz zu Männern, die sich
durch verbale Kommunikation und Texte ausdrücken – ist erst in den letzten Jahren von den Afrika-Wissenschaften herausgestellt worden.
Frauen führen mit dieser Mode ihr Verständnis von Modernität vor: als moderne Städterinnen, Rezipientinnen von internationalen Einflüssen über Medien, Ideen, Konsumgüter, als Agentinnen sozialen
und ökonomischen Wandels, als Hüterinnen von Geschichte und Tradition, als Erzieherinnen für die Zukunft.
„When you are well dressed,
full of perfume, à la mode,
you feel good in your skin,
you fell good about yourself,
you can go anywhere.“*
* Ausspruch einer senegalesischen Angestellten in Dakar, Zitat aus Hudita Nura Mustafa, Sartorial ecumenes: African styles in a social and economic context. In: Els van der Plas, Marlous Willemsen (Hrsg.); The Art of African Fashion, Trenton-Asmara 1998
Ich persönlich hätte es nicht gewagt, von ‚Afrika ist modern’ oder ‚Afrika ist in Mode’ zu sprechen. Dieser überraschende, z. T. eben auch provokante Titel stammt von einem 2005 erschienenen, von
der staatlichen frz. Kulturinstitution AFAA in Auftrag gegebenen Buch. Ihn möchte ich als Anlass nehmen, um in das Thema einzuführen, vor allem auch um unsere westliche, stark moralisch geprägte
Haltung zu Kleidung und Körperinszenierung zu reflektieren. Den Kontinent Afrika, den wir überwiegend aus den Negativschlagzeilen in den Medien kennen: Krieg, Armut, Staatsverschuldung,
Interventionen der Weltbank und der Uno, Afrika als Fass ohne Boden in der Entwicklungshilfe, Flüchtlingsströme, diesen Kontinent verbinden wir hier auf einmal mit Mode, mit Ästhetik, Konsum! Ist
das möglich? Darf man das? Sollten wir uns nicht auf den Mangel, die Hilfebedürftigkeit, die Einkommen schaffenden Maßnahmen konzentrieren? D. h. uns mit den wesentlichen Dingen des afrikanischen
Lebens beschäftigen? Aus dieser Sicht stellt der Titel also wirklich eine fast unverschämte, zynische Banalisierung dar: Afrika als Modeartikel oder als modisches Thema. !?
Allerdings muss hier dann die Frage gestellt werden, wie wir zu der hierarchischen Wertung kommen, der zufolge Körperschmuck und Darstellung durch Kleidung Zeichen von Oberflächlichkeit sind,
eine Verschwendung von Ressourcen bedeuten und folglich auch das Streben nach und die Freude an solchen materiellen und symbolischen Aktivitäten als kontraproduktiv anzusehen sind. Diese
Einstellung galt viele Jahrzehnte als unangefochtenes Kredo in Kreisen der hiesigen Wissenschaft und in den Institutionen der Entwicklungszusammenarbeit. Demgegenüber muss aber auf die Kehrseite
dieser arroganten Sicht verwiesen werden, die sich bei einem Blick in die Geschichte offenbart. Im 19. und 20. Jahrhundert setzten die Kolonialherren und Missionare die Kleidungspolitik als
zentrales Instrument ihrer so genannten Zivilisierungsmission ein, die in Wirklichkeit aber zur Durchsetzung ihres Herrschaftsanspruches und ihrer Rassenideologie diente.
Es ist eine unbestrittene Tatsache, die durch Zeugenberichte europäischer Afrika-Reisender seit dem 16. Jahrhundert übermittelt wurde, dass das Mittel der Selbstinszenierung mithilfe von
Kleidung, Schmuck, Frisuren, Körperhaltung, Accessoires in vielen Teilen Afrikas eine lange Tradition hat und von immenser Bedeutung für die Verkörperung politischer, sozialer Macht und
religiöser Glaubensvorstellungen war. Es führte zu elaborierten Kleidercodes und kreativen stilistischen Entwicklungen, die sich materiell und ästhetisch aus vielfältigen regionalen und
internationalen Quellen speisten. Als viel sprechende Beispiele wären zu nennen: der Import und die Adaptierung der Madras-Stoffe, der gebatikten Indigostoffe und des bestickten Samts aus Indien
seit dem 16. Jahrhundert, der magentafarbenen Rohseide aus Frankreich und Italien seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, des Lurexgarns aus Japan seit den 1970er Jahren, der Sebago-Schuhe aus den
USA oder: der arabisch-islamische Kaftan als Inspirationsquelle für die vielfältigen boubou-Stile in Westafrika, die kolonialen Militäruniformen als Ursprung für den Anzug im Safari-Stil, auch
als french-suit oder abacost im früheren Zaire bekannt.
Kleidung, Stile und Textilien bilden in den afrikanischen Gesellschaften eine zentrale Schnittstelle, wo sich moralische, ästhetische, soziale, politische, religiöse und wirtschaftliche Werte
treffen und damit für uns eine Art Eingangstür bilden, durch die wir Zugang zu afrikanischen Lebensformen, Glaubenssystemen und kulturellen Ausdrucksmitteln gewinnen können
Welche Vorstellungen haben wir von der Mode in Afrika oder der afrikanischen Mode? Eigentlich denken wir entweder an die Verbreitung westlicher Kleidungsstile, die für uns als einzig mögliche
Form von Mode erscheint, oder an traditionelle, kulturell-ethnisch geprägte Kleidungsstücke, die Symbolträger für kulturelle, ethnische, religiöse Zugehörigkeiten sind und aus lokalen Materialien
und in traditionsgebundenen Techniken gefertigt werden, die über Jahrhunderte überliefert wurden. Wir denken an Exotik, gewickelte Gewänder, knallige, schreiende Farben, auffällige Muster oder
auch an erdfarbene Stoffe.
Dieses stereotype Bild von der fest umgrenzten Materialität afrikanischer Kleidungsstile muss nun dringend korrigiert und der tatsächlichen Dynamik und Autonomie der afrikanischen Moden angepasst
werden. Mit dieser Ausstellung möchten wir dazu einen Beitrag leisten. Dabei wird nämlich zum einen deutlich, dass es sich um Modestile handelt, die anderen als den uns bekannten westlichen
Stilvorbildern folgt und sichtlich lokale, kulturelle ästhetische Werte integriert; zum anderen zeigt sich aber auch der trans-ethnische Charakter dieser Mode, die nämlich eine regionale,
westafrikanische Erscheinung ist.
Im Unterschied zu der westlichen Mode, die industriell und serienmäßig in kurzen zeitlichen Zyklen entsprechend der Jahreszeiten in großen nationalen oder internationalen Marketingkampagnen auf
den Markt geworfen wird, wo Markennamen eine zentrale Rolle für den symbolischen und materiellen Wert der Kleidungsstücke spielen, beruht der Modemarkt in Afrika
auf handwerklichen Einzelanfertigungen, die von den Kunden und den Designern und Schneidern ein hohes Maß an Eigeninitiative und Kreativität erfordern. Die Unterscheidung zwischen Original und Nachahmung, die für unser Modebewusstsein und –verhalten eine zentrale Rolle spielt, erweist sich im afrikanischen Kontext als gegenstandslos, da jedes Kleid eine Nachahmung ist bzw. zu einem neuen Original avanciert, wenn es selber wieder Vorlage für eine Nachahmung wird. Aufgrund dieser speziellen Herstellungsbedingungen im handwerklichen, informellen Sektor, bekommt das Einzelstück, das auf dem Leib getragen wird, natürlich eine ganz andere Bedeutung, als wir es aus unserem anonymen Konsumverhalten kennen.
Die Mode in Afrika ist in erster Linie eine Ausdrucksform von Frauen, eine soziale und kulturelle Erscheinung, in der Frauen ihr Selbstverständnis in der sich verändernden, modernen Welt
ausdrücken. Dabei geht es um eigenständige, kreative Leistungen auf dem Gebiet der Ästhetik und der kulturellen Identität. Die Kleiderstile der afrikanischen Mode haben sich gegen die Dominanz
der westlichen Kleidungsnormen, wie sie über viele Jahrzehnte in Afrika zu beobachten war, behauptet. Pathé’O, ein renommierter ivoirischer Modemacher, Abidjan/CI, sagte in einem Interview Ende
der 90er Jahre:
„Noch vor 10 Jahren trugen die Frauen importierte Konfektionsware, alle kauften ihre Kleider in den Boutiquen in Abidjan, die auf Konfektionsmode spezialisiert waren. Doch damit ist nun Schluss.
Denn die Stilisten und Modemacher waren sehr bemüht und haben es dann auch geschafft, die Frauen zufrieden zu stellen, indem sie viele verschiedene Stile entwarfen, die ihnen gefielen, und ihnen
das anboten, was sie brauchten. Und jetzt wollen sie auch tatsächlich nicht mehr nach Europa fliegen, um sich dort einzukleiden. Dazu hat allerdings auch die Abwertung des FCFA beigetragen. Nun
werden Sie keine Afrikanerin mehr in Abidjan sehen, die zu einer Abendveranstaltung mit Hut, Handschuhen und schleifendem Kleid erscheint. Sie würde sich lächerlich machen. Dabei war das vor 10
bis 15 Jahren noch ganz üblich.“
Gleichzeitig hat sich die Frauenmode aber auch von der ethnisch-kulturellen Definition emanzipiert, der zufolge ein Kleidungsstück in erster Linie eine symbolische Funktion hat und Aufschluss
gibt über ethnische, soziale und religiöse Zugehörigkeiten der Trägerinnen. Die modernen Kostüme und Kleider sagen nichts mehr darüber aus, ob eine Frau aus dem Dogon-Gebiet in Süd-Mali oder aus
Bamako, dem von der Bamanan-Kultur geprägten Hauptstadt Malis, ob sie aus Abidjan oder Brazzaville stammt. Die Mode der taille-basse-Kostüme, der boubous und der Hosenanzüge gilt über regionale
und nationale Grenzen hinaus, sie vereint die Frauen in ganz Westafrika und hat fast den gesamten Kontinent erfasst.
Im Gegensatz zu der Stilgeschichte der männlichen Kleidung hat sich die weibliche Mode von der politisch-ideologischen Inanspruchnahme losgesagt, um zu einem rein formalen, willkürlichen
Formenspiel zu werden, das den Inhalt und den Rhythmus der Mode bestimmt. Im Zeichen des Nationalismus in der kolonialen und post-kolonialen Phase kam es zu einer Rückbesinnung auf lokale
kulturelle Werte, die der Fremdherrschaft entgegen gesetzt werden sollten. In dieser Phase der Selbstbehauptung spielte Kleidung eine herausragende Rolle. Auch heute ist bei den Männern der
symbolische Charakter von Kleidung – als Ausdruck von Macht, Reichtum oder Traditionsbewusstsein – ausschlaggebend; stilistisch pendelt sie zwischen der westlichen Kleidung und den traditionellen
Stilen.
Auf der sozialen, psychologischen Ebene stellen die neuen Konsummöglichkeiten durch Modeangebote ein Gewinn an Komfort und Freude dar, da sie es den Konsumentinnen ermöglichen, sich immer wieder
neu zu erschaffen und in der Anonymität der Städte verschiedene, verblüffende Identitäten anzunehmen – auch wenn diese Teilhabe an der Moderne einen hohen Preis fordert.
Stellen Sie sich mal folgende Szene vor ... in der Post. Die Farbe an den Wänden blättert ab, die Tresen sind mit einer Schicht Sandstaub übersät… Sie sind nach langem Schlangestehen endlich an
der Reihe, bedient zu werden, und sie reichen ihr Ihre Briefe. Sie sieht Sie aber kaum an … beim Bedienen der Rechenmaschine ist sie sehr vorsichtig, um ja nicht ihre perfekt manikürten
Fingernägel zu beschädigen.
Ihr Gesicht gleicht einer perfekten Maske aus kosmetischen Farben: marineblauer Eyeliner, burgunderroter Lidschatten, umrandet von einem Kupferton, dazu dunkelroter Lippenstift, der wunderbar zu
ihrem bestickten Gewand passt. Das Telefon läutet, sie begrüßt ihre Freundin …: Khady, wie geht es dir? ... Während die Unterhaltung am Telefon fortgesetzt wird, versuchen Sie herauszufinden,
welches Parfüm sie trägt. Ist es Chanel oder Estée Lauder? … Sie rückt ihr Gewand zurecht, so dass es in perfekter Harmonie auf ihrer Schulter sitzt. Die ganze Brustpartie ihres Kleides ist
bedeckt von einer farbenreichen Stickerei in arabesken Formen. Die Farben in Dunkelgrün, Tiefblau und Gold bilden eine wunderbare Ergänzung zum königsblauen Stoff … Sie können sicher sein, dass
Ihr Brief rechtzeitig ankommt, aber in Gedanken sind Sie immer noch mit der Frage beschäftigt, wie diese Frauen es schaffen, ihre sozialen Bedürfnisse und Kleidungsansprüche mit ihren dürftigen
Gehältern in Einklang zu bringen.
Wenn wir uns die ausgestellten Kostüme genauer ansehen, kommen uns einige stilistische Elemente bekannt vor. Genau! Das so genannte typische Afrikanische ist nämlich die Aneignung fremder
Einflüsse. Das kosmopolitische Handeln und Denken ist Teil der afrikanischen Kultur und Tradition. Hier die materielle arabisch-islamische Kultur als Quelle für eigene Schöpfungen oder da die
Praxis der französischen Eleganz als Maßstab lokaler Kleidungseleganz, dazwischen die Blusenschnitte der Missionare Ende des 19. Jahrhunderts und der viktorianische Kleiderstil der Europäerinnen
als Vorbild für den Kostümschnitt, der heutzutage die Ikone der afrikanischen Kleidermode verkörpert. Die Verbindung historischer, internationaler Einflüsse mit lokalen Werten, sozialen
Strategien im Kontext von Globalisierung, Urbanisierung und permanenter wirtschaftlicher Prekarität machen das aus, was wir im Ausstellungstitel: L’Afrique est à la mode – Mode in Afrika genannt
haben.